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Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt

Im hohen Mittelalter war Erfurt eine der größten Städte des Heiligen Römischen Reiches und darüber hinaus ein wirtschaftliches und geistig-kulturelles Zentrum von europäischem Rang. Hier trafen sich Kaiser und Fürsten zu wichtigen Reichstagen und fällten politische Entscheidungen von großer Tragweite (z. B. 1181 über die Verbannung Heinrichs des Löwen). In Erfurt trafen die über den Thüringer Wald aus Süden (von Nürnberg, Bamberg, Würzburg usw.) kommenden Passwege auf die Via Regia, die mittelalterliche West-Ost-Magistrale, die Paris und andere Zentren Westeuropas mit den wichtigsten Handelsplätzen Osteuropas, z. B. Kiew, verband. An einem solchen Platz konzentrierte sich darum der Handel, vor allem mit Waid (vor der Einführung des Indigos die wichtigste Quelle für blauen Farbstoff) und verhalf der Stadt zu einer wirtschaftlichen Blüte. - Spätestens seit dem 8. Jh. war Erfurt ein bedeutendes geistliches Zentrum, das nicht nur in den missionarischen Bemühungen von Bonifatius eine gewichtige Rolle spielte, sondern u. a. mit Meister Eckhart auch einen hervorragenden Theologen und Philosophen des Hochmittelalters lange Jahre in seinen Mauern beherbergte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich hier 1392 die dritte Universität auf deutschem Boden etablierte. - In diesem anregenden und produktiven Umfeld entwickelte sich eine der angesehensten mittelalterlich-jüdischen Gemeinden. Zwar können wir die Anfänge dieser Gemeinde bisher nicht fassen, sie muss aber bereits geraume Zeit vor dem Bau der Alten Synagoge (1094) bestanden haben. Im hohen Mittelalter war sie ein wesentlicher wirtschaftlicher und geistig-kultureller Faktor der Stadt, in der z. B. so bedeutende Gelehrte wie Eleazar ben Judah ben Kalonymus me Worms oder Alexander Süsskind ha-Kohen wirkten. Trotz einiger Differenzen und auch gewaltsamer Übergriffe auf die jüdischen Bürger entstand ein durchaus fruchtbares Miteinander von christlichen und jüdischen Einwohnern, die enge wirtschaftliche Kooperationen eingingen, wie die historischen Nachrichten über einige bedeutende finanzielle Transaktionen und Rechtsgeschäfte belegen. - Dies fand seinen Niederschlag in der engen räumlichen Verquickung christlicher und jüdischer Wohnstätten in unmittelbarer Verbindung mit der Via Regia, die hier die Gera querte, mit dem wirtschaftlichen wie geistigen und politischen Stadtzentrum. 1309 verteidigten sogar Juden und Christen gemeinsam ihre Stadt in einer Fehde mit dem Landgrafen von Thüringen. - Diese Blütezeit der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts fand am 21. März des Jahres 1349 ihr jähes Ende in einem Pestpogrom. In der Folge eignete sich die Stadt die Grundstücke und zurückgelassenen Besitztümer ihrer ehemaligen jüdischen Bürger an, geriet darüber aber in Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof von Mainz, dem Schutzherrn der Erfurter Juden, der sich um seine Einkünfte geprellt sah und darum von der Stadt Ersatzleistungen verlangte. Doch schon 1354 siedelten sich wieder jüdische Familien in Erfurt an, denen der Rat auf Weisung des Erzbischofs neue Häuser bauen bzw. die alten wieder einrichten musste. Da die Alte Synagoge nach dem Pogrom in den Besitz eines christlichen Kaufmanns übergegangen war, wurde die Stadt verpflichtet, den Juden eine neue Schule (Synagoge) zu errichten, was 1357 in die Tat umgesetzt wurde. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die zweite jüdische Gemeinde Erfurts schnell und erlangte erneut überregionale Bedeutung, bis die Juden 1454 durch die Bürger der Stadt und endgültig 1458 durch den Mainzer Erzbischof für lange Zeit aus Erfurt vertrieben wurden. (Verlagsinformation)

Gespeichert in:

Bibliographische Detailangaben
Personen und Körperschaften: Ostritz, Sven (HerausgeberIn), Thüringen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (Sonstige)
Titel:Die mittelalterliche jüdische Kultur in Erfurt/ hrsg. vom Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie, Weimar durch Sven Ostritz
Zusammenfassung:Im hohen Mittelalter war Erfurt eine der größten Städte des Heiligen Römischen Reiches und darüber hinaus ein wirtschaftliches und geistig-kulturelles Zentrum von europäischem Rang. Hier trafen sich Kaiser und Fürsten zu wichtigen Reichstagen und fällten politische Entscheidungen von großer Tragweite (z. B. 1181 über die Verbannung Heinrichs des Löwen). In Erfurt trafen die über den Thüringer Wald aus Süden (von Nürnberg, Bamberg, Würzburg usw.) kommenden Passwege auf die Via Regia, die mittelalterliche West-Ost-Magistrale, die Paris und andere Zentren Westeuropas mit den wichtigsten Handelsplätzen Osteuropas, z. B. Kiew, verband. An einem solchen Platz konzentrierte sich darum der Handel, vor allem mit Waid (vor der Einführung des Indigos die wichtigste Quelle für blauen Farbstoff) und verhalf der Stadt zu einer wirtschaftlichen Blüte. - Spätestens seit dem 8. Jh. war Erfurt ein bedeutendes geistliches Zentrum, das nicht nur in den missionarischen Bemühungen von Bonifatius eine gewichtige Rolle spielte, sondern u. a. mit Meister Eckhart auch einen hervorragenden Theologen und Philosophen des Hochmittelalters lange Jahre in seinen Mauern beherbergte. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich hier 1392 die dritte Universität auf deutschem Boden etablierte. - In diesem anregenden und produktiven Umfeld entwickelte sich eine der angesehensten mittelalterlich-jüdischen Gemeinden. Zwar können wir die Anfänge dieser Gemeinde bisher nicht fassen, sie muss aber bereits geraume Zeit vor dem Bau der Alten Synagoge (1094) bestanden haben. Im hohen Mittelalter war sie ein wesentlicher wirtschaftlicher und geistig-kultureller Faktor der Stadt, in der z. B. so bedeutende Gelehrte wie Eleazar ben Judah ben Kalonymus me Worms oder Alexander Süsskind ha-Kohen wirkten. Trotz einiger Differenzen und auch gewaltsamer Übergriffe auf die jüdischen Bürger entstand ein durchaus fruchtbares Miteinander von christlichen und jüdischen Einwohnern, die enge wirtschaftliche Kooperationen eingingen, wie die historischen Nachrichten über einige bedeutende finanzielle Transaktionen und Rechtsgeschäfte belegen. - Dies fand seinen Niederschlag in der engen räumlichen Verquickung christlicher und jüdischer Wohnstätten in unmittelbarer Verbindung mit der Via Regia, die hier die Gera querte, mit dem wirtschaftlichen wie geistigen und politischen Stadtzentrum. 1309 verteidigten sogar Juden und Christen gemeinsam ihre Stadt in einer Fehde mit dem Landgrafen von Thüringen. - Diese Blütezeit der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts fand am 21. März des Jahres 1349 ihr jähes Ende in einem Pestpogrom. In der Folge eignete sich die Stadt die Grundstücke und zurückgelassenen Besitztümer ihrer ehemaligen jüdischen Bürger an, geriet darüber aber in Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof von Mainz, dem Schutzherrn der Erfurter Juden, der sich um seine Einkünfte geprellt sah und darum von der Stadt Ersatzleistungen verlangte. Doch schon 1354 siedelten sich wieder jüdische Familien in Erfurt an, denen der Rat auf Weisung des Erzbischofs neue Häuser bauen bzw. die alten wieder einrichten musste. Da die Alte Synagoge nach dem Pogrom in den Besitz eines christlichen Kaufmanns übergegangen war, wurde die Stadt verpflichtet, den Juden eine neue Schule (Synagoge) zu errichten, was 1357 in die Tat umgesetzt wurde. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die zweite jüdische Gemeinde Erfurts schnell und erlangte erneut überregionale Bedeutung, bis die Juden 1454 durch die Bürger der Stadt und endgültig 1458 durch den Mainzer Erzbischof für lange Zeit aus Erfurt vertrieben wurden. (Verlagsinformation)
veröffentlicht:
Langenweißbach Beier & Beran 2009-2011
Weimar Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie 2009-2011
Beschreibung:Bd. 5 erscheint lt. Hrsg. voraussichtl. nicht mehr
Format: Buch
Sprache: Deutsch
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